Samstag, 23. November 2013

Domquartier und die Folgen

Andreas Rietschels Logbuch in der GZ vom 23.11.2013 
Andreas Rietschel zeigt sich skeptisch. Seiner Meinung nach ist das ins Auge gefasste Einkaufscenter möglicherweise mehr, als die Goslarer Innenstadt vertragen kann. Mag sein. Nur seine Schlussfolgerung teile ich nicht. Dass seiner Meinung nach das Odeon u.a. deswegen mehr und mehr ins Abseits gerät, weil wir immer älter und immer weniger werden, spricht natürlich auch gegen eine von Tessner ins Spiel gebrachte Mehrzweckhalle im Domquartier. Wer soll die denn dann füllen?        
   Und dass die GZ fünf Senioren mit ihrer Meinung zu Wort kommen lässt, zeigt auch, wohin die Reise der GZ in dieser Sache zukünftig gehen wird. Auch für mich steht fest: Wir Senioren in Goslar brauchen kein weiteres Einkaufszentrum. Und ein halbes Dutzend Geschäfte mit orthopädischen Schuhen reicht völlig aus. Auch wenn Karstadt nach Weihnachten schließen sollte: Unseren alltäglichen Bedarf können wir hier noch locker mit dem decken, was wir derzeit in Goslar vorfinden und die meisten von uns haben von dem, was darüber hinaus wünschenswert ist, sowieso zu viel. Also weiter so?
   Doch mir geht das ständige, kurzsichtige Beharren, Bewahren und Verwalten von Gewohntem in dieser Stadt gewaltig auf den Keks. Das hat doch mit Zukunftsgestaltung nichts zu tun. Nicht die ewig gestrigen Goslarer und schon gar nicht die Senioren dieser Stadt - Goslar braucht lukrative touristische Leuchttürme, um auch noch in Zukunft für junge Leute und nachfolgende, ganz anders tickende Generationen attraktiv zu bleiben.
   Wenn Handel und Gastronomie bisher nur von den Ausgaben der Goslarer hätten existieren müssen, wäre die Goslarer Innenstadt schon längst tot und wir hätten Leerstände wie in anderen Bereichen unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Goslar hat NOCH die höchste Kaufkraftbindungsquote weit und breit. Sie betrug 2011 195 Prozent, deutlich mehr als Braunschweig mit 155 Prozent. Das heißt, dass von den 359 Mio. Euro, die hier umgesetzt wurden, 175 Mio. Euro von außerhalb zugeflossen sind.
   Deshalb braucht Goslar zukunftsträchtige Objekte, um seine Anziehungskraft nicht zu verlieren. Nicht die Goslarer, Auswärtige halten die Innenstadt am Leben und wenn das so bleiben soll, müssen hier zeitgemäße Anziehungspunkte etabliert werden oder glaubt jemand im Ernst, dass eine Mehrzweckhalle von Touristen aus Holland, Dänemark oder deutschen Ballungsgebieten gefüllt würde? Sie würde vielmehr an mehr als 250 Tagen im Jahr ungenutzt leer stehen.
   Wie sagte doch so schön die in der GZ zitierte Dame aus Altenau: „Bei uns gibt es quasi nur noch ein Lebensmittelgeschäft, und die jungen Leute fahren zum Einkaufen nach Zellerfeld“ (ausgerechnet :-). Damit junge Leute, falls es die dann noch gibt, nicht eines allzu fernen Tages von Goslar nach Hildesheim, Hannover oder Braunschweig zum Einkaufen fahren müssen, brauchen wir hier auch für Touristen attraktive Einkaufsmöglichkeiten. Und wenn dann noch die Fremdenverkehrsabgabe kommt, durch deren Einnahmen auch in Goslar die Profiteure des Fremdenverkehrs in die Unterhaltung des einmaligen Ensembles der Stadt eingebunden werden können, dann wird die Innenstadt auch zukünftig nicht nur für uns Goslarer attraktiv bleiben.

Donnerstag, 7. November 2013

Breuers Meinung

GZ vom 07.11.2013
In seiner Kolumne "Meine Meinung" stellt "hgb" die rhetorische Frage: „Schon mal was von repräsentativer Demokratie im Allgemeinen ...gehört?“ Doch, haben die meisten. Nur die Sozis sind gerade dabei, sich davon zu verabschieden. Nach dem Motto: „Wir sind demokratisch organisiert und wenn unsere Repräsentanten in den Koalitionsarbeitskreisen zu den Ergebnissen eines eventuellen Koalitionsvertrages Zustimmung signalisieren sollten, könne es durchaus sein, dass die SPD Mitglieder das anders sehen und den Vertrag ablehnen“. So geht sozialdemokratische Demokratie heute. Man traut seinen Repräsentanten nicht (mehr). Wie denn auch, wenn jede ihrer Sprechblasen durch jeden halbwegs geschickt mit dem Internet Vertrauten durch eine Mausklick widerlegt werden kann.
Es ist eine Perversion unseres repräsentativen Wahlsystems, das Schicksal der Republik nach einer Wahl in die Hände von einigen zehntausend Parteimitgliedern zu legen. Über 11 Mio haben 193 SPD Abgeordnete ihres Vertrauens und nicht irgentwelche SPD Ortsvereine in Klein-Kleckersdörfern gewählt.
Und die Zeitschrift "Cicero" (sicherlich kein rechtes Blatt) meint dazu:

Es gibt gute Gründe, gegen das Mitgliedervotum der Sozialdemokraten zur Großen Koalition zu sein. Es gibt kluge politische Einwände gegen den Versuch, alle Mitglieder in den komplizierten Prozess der Regierungsbildung zwischen CDU, CSU und SPD einzubinden. Die SPD-Führung begibt sich damit in die Geiselhaft ihrer Basis. Führungsstärke sieht anders aus. Und allein die Tatsache, dass die SPD-Führung ihrer Basis die Ressortverteilung vorenthält und verschweigt, welche Genossen in der Großen Koalition Minister werden sollen, zeigt: Auch ihnen ist das Mitgliedervotum nicht geheuer. Zudem schwächt die SPD damit die repräsentative Demokratie, weil das Beispiel Schule machen wird, auch in anderen Parteien. Zu guter Letzt lässt sich natürlich fragen, warum 475.000 SPD-Mitglieder mehr mitreden dürfen als die anderen rund 11 Millionen Deutschen, die diese Partei am 22. September gewählt haben

Frauen verhandeln nicht so aggressiv

Katharina Vössing in der GZ vom 07.11.2013
„Männer verdienen laut Statistik im Schnitt 22 Prozent mehr...“ lautet die Unterüberschrift der GZ. Mein Kompliment an Katharina Vössing, die ihren Lesern nicht nur – wie viele andere Medien - unreflektiert eine DPA-Nachricht oder das Getöse des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes oder anderer Institutionen der Hilfeindustrie vorsetzt, sondern die sehr aufschlussreich hinterfragt, warum das statistische Bundesamt zu der Feststellung kommen kann, dass Frauen deutlich weniger verdienen als Männer.
Nur eines fällt auf. In der aufgeführten Tabelle über das Bruttogehalt von Männern und Frauen sind die angesagtesten Berufe der Region für Frauen und Männer aufgeführt. Nach dieser Tabelle verdienen Männer im Schnitt 12,83 und Frauen 11,93 Euro/Stunde. Es hätte den Artikel optimiert, wenn Frau Vössing mal nachgerechnet und festgestellt hätte, dass, wenn man Äpfel mit Äpfeln und nicht mit Birnen vergleicht, Männer „nur“ 7 und keine 22 Prozent mehr als Frauen verdienen.  
In dem Fall hätte auch ein Zitat der DPA-Meldung gereicht. DPA schreibt dazu:
"Hintergrund der Verdienstunterschiede ist vor allem, dass Fra uen und Männer oft in unterschiedlichen Branchen tätig sind und Männer häufiger besser bezahlte Führungspositionen ausüben. Frauen haben öfter als Männer Teilzeitjobs und sind geringfügig beschäftigt. Wenn man solche "arbeitsplatzrelevanten Merkmale" ausblendet, ist die Differenz kleiner. Bei gleicher Qualifikation und Tätigkeit verdienten Frauen laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr pro Stunde durchschnittlich sieben Prozent weniger als Männer."

Mittwoch, 6. November 2013

Stress lass nach

Andreas Rietschels Logbuch vom 02.11.2013
Für all und jedes gibt es in Deutschland eine Studie, einen Test. Während fast alle Medien gebetsmühlenhaft und mit fast gleichem Wortlaut eine DPA-Meldung zum Stresstest der Technikerkrankasse abgedruckt haben, versucht Herr Rietschel in begrüßenswerter Weise, diese Studie ein wenig zu hinterfragen.
   Herrn Rietschel ist zuzustimmen, dass das Wort Stress ein Modewort geworden ist, das heute zu jedermanns Sprachgebrauch geworden ist. Mit seiner Aussage: „Wer keinen Stress hat, kann auch nicht wichtig sein...“ trifft er den Nagel auf den Kopf. Stress ist häufig etwas subjektiv Empfundenes und teils hausgemacht. Auch ist richtig, wenn Rietschel feststellt, dass schon Platon mit „Erkenne dich selbst“ ein Wissen meinte, dass davor schützt, sich zu überschätzen und zu überfordern und nichts unglücklicher mache, als einem Anspruch hinterher zu hetzen, den man nie und nimmer erfüllen könne.
   Zumeist wird der Job als Hauptursache angeführt. Doch wäre es zu einfach, die Gründe allein in der Beschleunigung von Arbeitsprozessen oder der Gratwanderung zwischen Karriere und Familie zu suchen. Zu hohe Erwartungen an die eigene Person, übertriebener Perfektionismus, das Gefühl, überall dabei sein zu müssen und der Verlust der Fähigkeit, sich auf das Wesentliche zu besinnen - das alles stresst zusätzlich. Das Wort Burn-out mag englisch sein, das Phänomen ist vor allem ein deutsches. Wer sich überfordert fühlt, lässt sich gegen Burn-Out behandeln und wer sich unterfordert fühlt gegen Bore-Out (von engl. Boredom – deutsch: Langeweile) . In fast jeder Normalität steckt heute ein diagnostizierbares Krankheitsbild. In der Psychiatrie alles eine Frage der Definition.
   Prüfungsangst ist Krankheit. Wer mehr als zwei Wochen trauert, ist krank. Jedem lebhaften Kind wird ADHS nachgesagt, jedem faulen kann bei Bedarf Legasthenie oder Dyskalkulie (Rechenschwäche) bescheinigt werden. Die Trotzphase avanciert leicht zur „grob gemusterten Launenfehlregulations­störung“. Auch wer schüchtern ist, könnte krank sein. Wer leicht mal was vergisst, hat eine Aufmerksamkeitsstörung. Wer Alltagssorgen hat, ist depressiv. Einer von achtzig Menschen gilt als Autist.
   Deutschland im Stresstest, das ergibt aber auch eine überraschende Einfärbung der Landkarte. Der Norden kühl-blau, der Osten genervt-gelb und der Süden hektisch-rot. Nicht umsonst gibt es die Bierwerbung, in der im hohen Norden alte Männer zusammensitzen und gemütlich den Bügelverschluss ihrer Bierflasche ploppen lassen – nur keine Hektik bitte.
Den Stress bekämpft man am besten, wenn man Studien und Berichte über Stress nicht zur Kenntnis nimmt.